Wo das Leben überall an Grenzen stößt

Von Gina Frederick, Anna-Natascha Hemlein und Clara Weiß — 14. August 2016
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Lippfische

Mal Er, mal Sie
Blaukopf-Junker sind Pflanzenfresser aus der Familie der Lippfische und leben im westlichen Atlantik rund um die Bermudas, vor Florida und in der Karibik. Sie werden nicht als Weibchen oder Männchen geboren, sondern als Neutrum. Erst später entscheiden sie sich, was sie sein möchten – und verwandeln sich dann als Mann in einen bunten Paradiesvogel oder als Frau in ein unscheinbares, graues Mäuschen.
Doch australische und kalifornische Forscher konnten 2006 zeigen, dass der Fisch sich noch einmal umorientieren und sein Geschlecht ein zweites Mal wechseln kann. Ob er dann einen männlichen oder weiblichen Lippfisch aus sich macht, hängt davon ab, wie es um ihn herum aussieht: Ist er von vielen Weibchen umgeben, wird er zum Männchen, herrscht Frauenmangel, wird er zur Sie. Das ist eine kluge evolutionäre Strategie, die dafür sorgt, dass immer genug Paarungsmöglichkeiten vorhanden sind. Das Geschlecht des Lippfischs ist also nicht genetisch vorgegeben wie bei den anderen Tieren.
(GF)

Kurzzeitgedächtnis

Eins rein, eins raus
So um die sieben Plätze sind frei im Wartezimmer des Kurzzeitgedächtnisses. Es ist voll besetzt mit Chunks. Ein Chunk, das kann eine Zahl sein oder ein Wort oder auch ein ganzer Satz, der aber nicht allzu lang sein darf. In jedem Fall ist ein Chunk ein kleines Stück Erinnerung. Kommt ein neues Chunk durch die Tür herein, muss dasjenige, das am längsten im Wartezimmer sitzt, aufstehen und ihm den Stuhl freimachen. Manche Menschen haben größere Wartezimmer mit neun, andere kleinere mit nur fünf Plätzen. Insofern kann jeder eine Telefonnummer mit fünf Ziffern im Kopf behalten, aber nur wenige eine neunstellige Zahl. Doch man kann anbauen ans Wartezimmer und es vergrößern: zum Beispiel mit einer Eselsbrücke.
(ANH)

Gesprächskulturen

Nah & fern
Wen wir wie nah an uns heranlassen und wen nicht, hängt davon ab, ob wir mit ihm befreundet sind oder nicht – je intensiver, desto näher. Doch die Grenzen, die wir dabei ziehen, unterscheiden sich von Kultur zu Kultur. In arabischen Ländern stehen Menschen bei einem Gespräch so nah beieinander, dass sie den Atem des anderen riechen können. Ein Südamerikaner berührt im Gespräch sein Gegenüber im Schnitt 180 Mal pro Stunde. Für viele Europäer ist das undenkbar: Besonderen Wert auf größeren Abstand legen vor allem Engländer und Schotten. (ANH)

Vatikan

Geld gegen Latein
3,2 Kilometer hat man zu gehen, schon ist man um den Vatikan herum. Nicht nur auf die Staatsgrenze, auch auf die Fläche bezogen gilt der Vatikan als das kleinste Land der Welt: ungefähr 62 Fußballfelder groß. Die letzte absolute Monarchie Europas hat außerdem die wenigsten Untertanen: 450 sind es. Das Territorium des Papstes wird durch Mauern und Säulengänge begrenzt. Nur auf dem Petersplatz kann man die Grenze zwischen Italien und Papststaat ohne weiteres überqueren. Dort zeigen steinerne Verzierungen im Boden an, dass man sich von Rom ins Ausland begibt. Ansonsten gelangt man über fünf Eingänge ins Refugium des Heiligen Vaters, die von seiner Schweizer Garde (Bild) scharf bewacht werden. Allerdings ist man auf die Römer drumherum angewiesen: Wegen Platzmangels sind viele Einrichtungen und Büros ausgelagert in die Ewige Stadt. Der Vatikan hat eigene Post, eigene Apotheke, eigenes Radio und eigene Zeitung. Wer hier Geld abheben will, muss allerdings Latein können – der Bankautomat versteht sonst nichts. (GF)

Mont Blanc

Das EU-Gipfelchen
Als höchster Berg Europas gilt mit 4810 Metern der Mont Blanc an der Grenze zu Frankreich und Italien. Doch in Extremsportler-Kreisen wird ein anderer Berg als Europas mäch- tigste Erhebung gehandelt, wenn es darum geht, die sieben höchsten Gip- fel der fünf Kontinente zu besteigen: der 5642 Meter hohe Elbrus im russi- schen Teil des Kaukasus. Welcher Berg der höchste Europas ist, hängt davon ab, wie man die Grenze zieht: Nimmt man die Manytsch-Niede- rung, eine große Senke am Kaspi- schem Meer, dann gehört der Elbrus zu Asien. Nimmt man den südlicher gelegenen Hauptkamm des Kauka- sus, gehört der Elbrus zu Europa. Im- merhin: Der Montblanc bleibt der höchste Gipfel der EU. (CW)

Indonesien

Beutel hier, Affe da
Nur 35 Kilometer trennen die indonesischen Inseln Bali und Lombok. Trotzdem leben auf ihnen völlig unterschiedliche Tierarten. Zwischen 1854 und 1862 beobachtete der Biologe Alfred Russel Wallace auf Lombok Kakadus und Beuteltiere, aber keine Affen wie zuvor auf Bali. Sein Kollege Thomas Henry Huxley nannte dieses Phänomen 1868 die Wallace-Linie, die australische und asiatische Tierwelt voneinander trennt. Der Grund: Vor dem weltweiten Anstieg des Meeresspiegels nach der letzten Eiszeit waren einige Inseln mit dem asiatischen Festland verbunden, andere mit dem australischen. (CW)

Nicht nur der Mensch, auch die Natur stößt immer wieder an Grenzen. Die Studierenden der WMK-Lehrredaktion haben sich im Sommersemester 2016 mit dem ein oder anderen „Grenzgänger“ auseinandergesetzt. Sie wollten wissen, welche Körpergröße Tiere erreichen können, wie man seine Leistungsfähigkeit beim Sport richtig einschätzt und was es für Transsexuelle bedeutet, wenn das biologische Geschlecht nicht der persönlichen Identität entspricht. Unter der Leitung von Dr. Christian Gruber, Ressortleiter Wissenschaft bei der Rheinpfalz am Sonntag, entstand daraus eine Artikelserie. Wir wünschen viel Spaß beim Durchblättern!

Seminarleitung: Dr. Christian Gruber
Sommersemester 2016

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