Noch Luft nach oben

Eva Pflästerer & Lilly Schindler — 14. September 2019

Städtische Klimaanpassung durch vertikale Gärten

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„Vertikale Gärten haben eine große Zukunft, die aber eine ebenso große Verantwortung für Planer und Ausführende mit sich bringt“, so äußerte sich Kai-Uwe Seydell, Vorstand des Verbands Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau Baden-Württemberg e.V. beim BuGG- Fassadengrünforum 2019 in Karlsruhe-Durlach.
Spätestens seit Rekord-Sommer 2018 ist das Phänomen ,Wärmeinsel Stadt‘ für Karlsruher Bürgerinnen und Bürger spürbar geworden. Die fortschreitende Raumverdichtung, vor allem in der Innenstadt, begünstigt diesen Effekt zunehmend. Initiativen und Gegenmaßnahmen zur Milderung des Stadtklimas werden immer dringlicher, um einen Aufenthalt in der Stadt auch in Zukunft erträglich zu halten. Da herkömmliche Grünflächen im Zuge der Verdichtung kaum noch Platz finden, werden nun Lösungsansätze wie vertikale Gärten immer populärer. Im Mai 2019 trafen beim BuGG-Fassadengrün-Forum in Karlsruhe-Durlach Experten und Interessierte aufeinander. In entspannter Atmosphäre hörten die Gäste Fachvorträge und Erfahrungsberichte. Die Gäste nutzen das Forum als Plattform, um das Potential vertikaler Fassadenbegrünung zu diskutieren, sich an den Infoständen und während den Diskussionsrunden auszutauschen. Bürgermeisterin Bettina Lisbach verwies in ihrer Eingangsrede darauf, dass Dachbegrünung bereits im Bebauungsplan Karlsruhe verankert sei, bei der vertikalen Begrünung gäbe es jedoch „noch Luft nach oben“. Experten sind sich einig, dass vertikale Fassadenbegrünung die grünen Lungen in der Stadt der Zukunft sein werden und schon jetzt eine wichtige Alternative zur horizontalen Begrünung darstellen. Bereits geläufig und weiter verbreitet sind Rankhilfen aus Holz oder Metall, an denen Kletterpflanzen vom Boden entlang der Hauswand in die Höhe wachsen. Beim aufkommenden Trend der sogenannten Living Walls oder vertikalen Gärten, werden vorbepflanzte Module an die Fassade montiert.

Den fertigen Garten an die Hausfassade verlegen

Vorreiter der Trendbewegung ist der französische Gartenarchitekt Patrick Blanc, der Paris zu einem der globalen Vorbilder in der Umsetzung von Pflanzenwänden gemacht hat.
Bei der Gestaltung eines vertikalen Gartens kann auf verschiedene Bepflanzungs- und Bewässerungssysteme zurückgegriffen werden. Am häufigsten kommt das modulare Baukastensystem zum Einsatz, wobei Einzelelemente zuvor bepflanzt werden und mit geringem Zeitaufwand vor Ort montiert werden können. Eine Alternative sind mit Substraten getränkte Vliese, bei denen die Pflanzen ohne Erde wurzeln. Die Systeme können nach Prüfung der Fassade und der Gebäudestatik per Nachrüstung angebracht werden. Vielmehr bietet es sich aber an, die vertikale Bepflanzung direkt bei Neubauten einzuplanen. Besonders diese neuen Modulsysteme haben beim Publikum des Forums, bestehend aus (Landschafts-) Architekten, Stadtvertretern und Landschaftsgärtnern für Rückfragen bezüglich der praktischen Umsetzung gesorgt.

Eine lohnende Option für Karlsruhe?

Gerade bei verdichteten Städten wie Karlsruhe bietet sich eine vertikale Begrünung an. Doch was ist dabei zu beachten?
Es darf nicht außer Acht gelassen werden, dass derartige Projekte sowohl in der Planung, im Bau, sowie in der Instandhaltung und Pflege sehr aufwendig sind. Verschiedene Fachbereiche wie Architektur, Bauphysik und Statik kommen zusammen und müssen gut koordiniert werden. Ohne eine gewisse Expertise ist die Umsetzung nicht erfolgreich durchführbar. Die Wartung des fertigen Gartens ist unerlässlich und sollte mindestens zwei Mal im Jahr durchgeführt werden. Je nach Höhe und Größe der Gärten sind unter Umständen Hubsteiger nötig.
Durch diesen Aufwand ergibt sich eine hohe Kostenspanne, wodurch das Vorhaben für Privatpersonen in größerem Maßstab nahezu untragbar ist. Jedoch sind Investitionen für Städte lohnenswert, da es sich um langfristige und nachhaltige Projekte handelt. Eine weitverbreitete Sorge ist die Verwüstung durch Tiere, wie zum Beispiel Tauben, die sich zwischen den Pflanzen einnisten oder Insekten, die von der Hauswand in das Gebäudeinnere gelangen. Die Experten beim BuGG-Fassadengrün-Forum konnten diese Bedenken weitgehend widerlegen, da dies zwar vorkommen könne, aber eher selten sei. Insekten halten sich zwar im vertikalen Garten auf, fühlen sich hier allerdings wohler als im Haus selbst.
Hingegen ist zu begrüßen, dass die Fassadenbegrünung die städtische Biodiversität fördert. Neben dem positiven Faktor der Platzersparnis, ergibt sich aus den bunt gestaltbaren Living Walls eine Attraktivitätssteigerung des gesamten Stadtbildes. Weiterhin wird die Fassade vor Umwelteinflüssen wie Niederschlag, Wind und Hagel geschützt, die zur Erosion der Fassade führen. Auch Vandalismus durch Graffiti wird vorgebeugt.
Bei Starkregenereignissen profitiert die Stadt von der rückhaltenden Wirkung der Pflanzen und den Bewässerungssystemen, die Wasser aus der Umwelt auffangen können. Vertikale Gärten wirken sich außerdem positiv auf den Lärmpegel in der Stadt aus, da Schallwellen in geringerem Maße reflektiert, also von der Pflanzenwand ,geschluckt‘ werden. Im Sommer profitiert man maßgeblich von der Verdunstungskälte, durch die die lokale Lufttemperatur um rund 1,3 °C gemindert und somit das Stadtklima insgesamt gemildert wird. Die Pflanzenwände fungieren außerdem als Schattenspender und reduzieren die Abstrahlung von Gebäudewänden.
Ein weiterer Vorteil ergibt sich aus der Energieersparnis, die mit der Dämmfunktion der Pflanzenwand einhergeht. Im Winter fungiert die Wand als Schutz vor eindringender Kälte und im Sommer hält es die Innenräume durch Beschattung und Verdunstungskälte kühl. Nicht unerheblich wirkt sich Begrünung auf die Luftqualität aus, da Pflanzen in der Lage sind Co2 und Feinstaub zu binden.
Die Umsetzung vertikaler Geb.udebegrünung erweist sich also als aufwendiges und umfangreiches Projekt. Für Privatpersonen ist der Bau einer Living Wall eher begrenzt und kleinflächig möglich, also im Rahmen ästhetischer Zwecke. Klimaanpassung und die dafür notwendigen Maßnahmen stellen Städte vor große Herausforderungen, was noch durch die zunehmende Verdichtung verstärkt wird. Jedoch ist es unerlässlich solche Maßnahmen zu ergreifen. Für Städte wäre es demnach durchaus sinnvoll, vertikale Gärten zu subventionieren und eine zukünftige Integration in das Leitbild der Stadt zu forcieren. Veranstaltungen wie das Fassadengrünforum helfen dabei, mehr Aufmerksamkeit für solche Alternativen zu generieren und spiegeln das steigende Interesse daran. So berichtet Dr. Gunter Mann, Präsident des Bundesverbands Gebäudegrün e.V., dass die Veranstaltung auf allen Linien „ein voller Erfolg war“.

Handeln statt diskutieren – welche Auswirkungen hat der real existierende Klimawandel auf unser alltägliches Leben, was wird getan, was muss man tun? 19 Studierende der journalistischen Lehrredaktion des Studiengangs „Wissenschaft – Medien – Kommunikation“ am KIT beschäftigten sich mit Auswirkungen und Konsequenzen des Klimawandels in und um Karlsruhe. Über vier Monate hinweg tauchten die Studierenden im Sommersemester 2019 unter Leitung der Biologin und Journalistin Patricia Klatt tief ein in die Facetten der bestehenden und kommenden Veränderungen. Neben den Recherchen stellten sie Presseanfragen, besuchten Workshops, führten Interviews und hinterfragten die Motive der Scientists for Future. Die Ergebnisse des Ganzen wurden in verschiedener Form präsentiert:
Zum einen erarbeiteten die Studierenden das ausführliche Dossier »Handeln statt Diskutieren« als Abschluss der Lehrredaktion Print, zum anderen wurden Teile der Recherchen auch von der Karlsruher Lokalredaktion der Badischen Neuesten Nachrichten (BNN) in einer print- und online-Version dargestellt.
Für die BNN haben die Studierenden ihre Orginal-Beiträge umgeschrieben, gekürzt und vereinfacht. Die BNN-Redakteurin Tina Mayer bearbeitete die Texte dann final für die Karlsruher Lokalredaktion der BNN.

Seminarleitung: Patricia Klatt
Sommersemester 2019

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