Von Patrizia Attar, Franziska Fuhry, Hannah Günther und Pia Stejskal — 14. August 2016
Dinosaurier waren die größten Landlebewesen aller Zeiten. Und die Sauropoden sind die größten Dinosaurier, die es je gab. Forscher beschäftigen sich mit der Frage, warum die Tiere derart gigantisch werden konnten. Und warum heutige Arten so schnell an die Grenzen ihres Wachstums stoßen.
Die Evolutionstheorie hat da eine harte Nuss zu knacken. Um es einmal ganz einfach zu formulieren: Warum gibt es heute keine Elefanten mehr, die 50 Tonnen auf die Waage bringen? Das ist die Frage, die sich unter anderem ein Forscherteam um Martin Sander von der Universität Bonn seit geraumer Zeit stellt.
Die Experten wollen die Grenzen des Wachstums ausloten. Sie möchten den Gigantismus verstehen, der manche Dinosaurierarten zu Riesen von 30 Metern Länge mit einem 6 Meter langen Hals heranwachsen ließ, sodass die Tiere ohne Probleme in den vierten Stock eines Wohnhauses hätten blicken können. Und die Wissenschaftler versuchen zu ergründen, warum heutige Pflanzenfresser im Vergleich dazu so klein geraten sind.
Bereits Ende der 1990er Jahre wurden die erhaltenen Sauropodenfossilien mithilfe von Lasern vermessen und aus den Daten das Körpervolumen und die Masse der Giganten extrapoliert. In Bonn hat Martin Sander vor einigen Jahren Spezialisten aus allen möglichen Fachrichtungen zusammengezogen, um sich einem Eklärungsmodell für das Wachstum zu nähern: Geochemiker, Zoologen, Materialforscher, Tierernährungsexperten, Paleobotaniker, Ökologen und Paläontologen. Untersucht werden dort nicht nur Knochen, sondern auch fossile Hautreste und Eier oder erhalten gebliebene Fußabdrücke.
Erste Ergebnisse veröffentlichte die Gruppe 2013 in einem Überblicksband der Fachzeitschrift „Plos One“. Im Moment läuft es auf vier Hypothesen hinaus, an deren Bestätigung die Forscher immer noch arbeiten: Möglich war der Gigantismus, weil ein hoher Stoffwechsel-Grundumsatz gepaart mit schnellem Wachstum, bestimmte Fressgewohnheiten und ein effektives Atmungs- und Fortpflanzungssystem den Riesen genügend Ressourcen bereitstellten.
Artenwachstum stoppt, wenn der Energiebedarf schneller steigt als die Kaukraft nachliefern kann.
Wachsen ist kräftezehrend. Es braucht viel Energie. Und da die größten Räuber immer kleiner waren als die größten Pflanzenfresser – und zwar im Verhältnis eins zu zehn – tippten die Wissenschaftler von Anfang an darauf, dass Körpergröße etwas mit Energie und Nahrungsaufnahme zu tun haben müsse. Pflanzenfressende Sauropoden, schlussfolgerten sie, waren vermutlich in der Lage, mehr Energie aus der Umwelt aufzunehmen als die jagenden Saurier oder heute lebenden Säugetiere.
Da die Riesen am Tag Hunderte Kilogramm Blätter fressen mussten, konnten sie ihren Energiebedarf nur decken, wenn sie die Nahrung hinunterschlangen, ohne sich mit Kauen aufzuhalten. Ihr gigantischer Körper bot genug Platz für einen großen Verdauungsapparat, in dem auch größere Pflanzenteile langsam zersetzt werden konnten.
Dafür gibt es Belege: In Gebiss und Schädeln von pflanzenfressenden Sauropoden fand sich keine Spur eines Kauapparats. Vergleicht man die Sauropoden mit anderen Dinosaurierarten, die keinen Gigantismus entwickelten, oder mit Fleischfressern, zeigt sich, dass mit zunehmender Größe normalerweise auch der Kopf enorm zulegt. Tyrannosaurus rex beispielsweise brauchte eine starke Kaumuskulatur und viele Zähne, um seinen massigen Körper mit Fleisch zu versorgen. Das aber begrenzte gleichzeitig seine Größe: Denn wächst eine Art zu sehr, nimmt der Energiebedarf des Organismus schneller zu als die Kaukraft nachliefern kann. Irgendwann pendelte sich deshalb bei T. rex ein Optimum von rund 13 Metern Körperlänge ein.
Den schlingenden Sauropoden dagegen reichten kleine, leichte Köpfe, die von langen Hälsen getragen werden konnten, um damit die Blätter der hohen Bäume abzurupfen. Sie mussten sich dabei kaum von der Stelle bewegen, was ebenfalls Energie sparte. Ganz anders als die Jäger, die ihrer Beute hinterherhetzten und enorme Muskelmassen aufbauten.
Der extrem lange Hals der Giganten musste bis ins Gehirn hinein mit Sauerstoff versorgt werden. Das war nur möglich, nimmt die Bonner Forschergruppe an, wenn die Sauropoden über eine Atmung verfügten ähnlich der von Vögeln. Vögel sind die engsten überlebenden Verwandten der Dinosaurier. Ihre Lungen werden anders als die von Säugetieren ständig von Atemgas durchströmt. Dafür sorgen Luftsäcke, dünnwandige Anhänge der Lunge, die wie Blasebälge arbeiten und Luft einsaugen und ausstoßen. Die Lunge ist nur das Durchleitungsorgan, das den Gasaustausch besorgt. Sie kann zweimal Sauerstoff aus der eingesogenen Luft gewinnen, nämlich beim Ziehen und beim Auspressen der Blasebälge.
Das Bonner Team verweist auf Vertiefungen in der Wirbelsäule, die in Sauropodenskeletten entdeckt wurden und auf ein Luftsacksystem hindeuten. Zudem waren die Knochen der Giganten hohl und damit leicht, wie es bei Vögeln immer noch der Fall ist. Sauropoden benötigten also wahrscheinlich weniger Energie für die Atmung und für das Stemmen ihres eigenen Körpergewichts. Weil auch Vögel mithilfe der Luftsäcke ihre Körper kühlen, gehen die Experten davon aus: Bei den riesigen Pflanzenfressern muss es ähnlich gewesen sein. Die Luftsäcke und der lange Hals boten eine Oberfläche, die groß genug war, um die Körpertemperatur leichter konstant zu halten.
Das war insofern wichtig, als Saurierkinder in extrem kurzer Zeit in die Höhe schossen, wie ihre Knochenquerschnitte zeigten, die denen moderner, schnell wachsender Tiere ähneln und die sich wie die Jahresringe eines Baumes auslesen lassen. Wer in kurzer Zeit ausgewachsen ist, dem können Fressfeinde nichts mehr anhaben. Dazu braucht es einen Stoffwechsel, der das Futter schnell und gründlich verwertet. Doch wer viel Energie verbrennt, droht auch zu überhitzen. Neben der Luftkühlung hatten die Giganten deshalb einen weiteren Mechanismus entwickelt, vermuten die Wissenschaftler: Ihr Stoffwechsel verlangsamte sich im Lauf des Lebens. Eine Fähigkeit, die einzigartig sei im Tierreich.
30 Meter lange Landtiere können also nur entstehen, wenn sie keine Energie fürs Kauen vergeuden.
Schnelles Wachstum hat einen weiteren Vorteil: Man ist früh fortpflanzungsfähig und sichert so das Überleben der Art. Allerdings begrenzt die Größe der Tiere auch die Population. Der gewaltige Appetit der Giganten sorgt für eine dünne Besiedelung: Wenige Tiere verteilen sich über gewaltige Areale, je nachdem, was die Vegetation an Futter hergibt. Das bringt neue Probleme. Kleine Population laufen Gefahr, nicht genügend Nachkommen zu haben, sodass sie aussterben.
Zumindest bei Säugetieren gilt: Je größer sie sind, desto weniger Nachkommen haben sie. Eine Elefantenkuh beispielsweise bekommt frühestens alle zwei Jahre ein Junges, das sie lange umsorgt – normalerweise eine erfolgreiche Strategie. Doch spielt das Wetter mal verrückt und kommt es zu einer großen Dürre, gibt es keinen Nachwuchs und andere Elefantenherden in fruchtbareren Regionen müssen den Ausfall kompensieren.
Die Sauropoden lösten das, indem sie Eier legten, glauben die Bonner Experten. Dadurch kamen sie mit einer viel geringeren Tierdichte aus als heutige Säugerarten sie für ihr Überleben brauchen. Saurierweibchen konnten jedes Jahr Dutzende bis Hunderte von Eiern legen. Darauf deuten fossile Funde hin. Die Eier waren im Vergleich zu den ausgewachsenen Riesen sehr klein und wogen maximal 5 Kilogramm. Das, betont Martin Sander, gelte für alle Saurier und sei keine Spezialität der Sauropoden: „Es erklärt aber sehr schön, warum Dinosaurier ganz allgemein so viel größer wurden als moderne Säugetiere.“
Natürliche Schwankungen der Umweltbedingungen, meinen die Bonner Forschergruppe, hatten auf die Sauropoden kaum Einfluss. Zwar veränderte sich immer wieder etwa der Kohlendioxid-Anteil der Luft, trotzdem blieben die Sauropoden über mehrere Erdzeitalter hinweg gleich groß. Warum sich nie gigantische Vögel entwickelten, wo sie doch anatomisch ähnlich gebaut sind wie Sauropoden, können die Forscher noch nicht erklären. Womöglich verwendeten sie die eingesparte Energie zum Fliegen
Nicht nur der Mensch, auch die Natur stößt immer wieder an Grenzen. Die Studierenden der WMK-Lehrredaktion haben sich im Sommersemester 2016 mit dem ein oder anderen „Grenzgänger“ auseinandergesetzt. Sie wollten wissen, welche Körpergröße Tiere erreichen können, wie man seine Leistungsfähigkeit beim Sport richtig einschätzt und was es für Transsexuelle bedeutet, wenn das biologische Geschlecht nicht der persönlichen Identität entspricht. Unter der Leitung von Dr. Christian Gruber, Ressortleiter Wissenschaft bei der Rheinpfalz am Sonntag, entstand daraus eine Artikelserie. Wir wünschen viel Spaß beim Durchblättern!
Seminarleitung: Dr. Christian Gruber
Sommersemester 2016