Fauch!

Von Jo Hoffmann, Nicole Bock, Aileen Seebauer und Fabian Marzinzik — 14. August 2016

Wenn Katzen Grenzen setzen, holt sich schon mal jemand ein blutiges Ohr.

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Es miaut morgens um fünf und die Katze, die man gestern Abend rausgelassen hat, will rein. Also raus aus dem Bett. Da hilft alles nichts. Sie hat ein blutendes Ohr. Ist ja nichts neues. Was hat das Vieh bloß wieder getrieben? Im Prinzip nichts anderes als das, was Wildkatzen auch tun, haben Sabrina Streif und Caroline Grainer von der Forstlichen Versuchsund Forschungsanstalt in Freiburg herausgefunden. Die beiden Forscherinnen rüsteten 25 Katzen mit GPS-Sendern aus und schauten sich hinterher ihre Laufwege an. Außerdem stellten sie Kamerafallen in den Hauseingängen auf. Nach 14 Tagen war klar: Katzen laufen in ihr Territorium und patrouillieren an den Grenzen. Allerdings sind die Reviere, die bei der Hauskatze innerhalb eines bestimmten Radius um das Haus des Besitzers liegen, viel kleiner als die von Wildkatzen. Und kastrierte Hauskatzen kommen mit noch weniger Platz aus, weil das Paarungsverhalten wegfällt. Das Territorium eines Hauskatzenweibchens ist zwischen einem und 70 Hektar groß, Männchen haben deutlich größere Reviere, stellten die Freiburger Wissenschaftlerinnen fest. Zum Vergleich: Männliche Wildkatzen beanspruchen Gebiete bis zu 1500 Hektar – sie müssen sich allerdings auch selbst ernähren und sich einen Partner suchen.

„Die Hauskatze ist die domestizierte Form der afrikanischen Wildkatze. Bei ihr vermischen sich viele Raumnutzungsmuster, wie man sie normalerweise in der Natur findet“, erklärt Sabrina Streif. Vor allem die Weibchen verteidigen ihr Territorium, während Kater anderen Männchen das Durchmarschieren schon mal gestatten, sodass sich ihre Reviere öfter überschneiden. Bei einer solchen Begegnung beschnüffeln sich Tiere, die befreundet sind. Dann dreht eine Katze den Kopf weg, die andere darf vorbei. Bleibt eine Katze aber sitzen und starrt sie die andere an, gibt es Ärger. Zieht keins der Tiere zurück und schleicht ganz langsam davon, kommt es zum Kampf. Siehe blutiges Ohr. Ob friedliche Lösung oder Konflikt, hängt immer auch von den äußeren Umständen ab. Streif: „In der Natur zeigen sich immer wieder sehr große Unterschiede zwischen den Individuen, zum Beispiel wenn Tiere verwandt sind oder wenn die Nahrungsverfügbarkeit sehr gut ist, verschwinden solche Reviermuster.“ Berechenbar sind Katzen eben nicht.

Ein Spezialfall ist die Großstadt. Hier leben Hauskatzen Tür an Tür. Die Enge erlaubt es nicht, dass jedes Tier ein eigenes Territorium hat. Katzen passen sich an, indem sie verstärkt kommunizieren. Gesichtsausdruck, Körperhaltung, die Art, sich zu bewegen, werden zu Schlüsselsignalen, ob man sich besser aus dem Weg geht oder trifft. Es entsteht eine Katzengemeinde mit sozialen Hierarchien, also ranghöheren und rangniedrigeren Tieren, was für die Einzelgänger in der Natur untypisch ist.
Die Katzen setzen außerdem Duftmarken und geben Laute von sich, die den anderen mitteilen: Ich war schon hier, ich bin gut oder schlecht gelaunt, ich bin paarungsbereit und so weiter.

Sabrina Streif und Caroline Grainer konnten zeigen, dass Großstadtkatzen einen regelrechten Stundenplan ausarbeiten, wenn sie sich das gleiche Gebiet teilen müssen: Nachbarn, die sich nicht leiden können, patrouillieren dann zeitversetzt entlang der Grenze, der eine tagsüber, der andere nachts. So können sie sich nicht in die Quere kommen.

Darüber hinaus sind Katzen sehr verschieden, haben die Freiburger Wissenschaftlerinnen beobachtet: Manche Tiere lieben es zu raufen und suchen geradezu die Konfrontation, indem sie sich zur gleichen Zeit an der Reviergrenze treffen. Andere Katzen sind friedlich und neugierig. Sie drehen erst einmal eine große Runde und streunen überall herum, bevor sie ihr eigenes Territorium betreten.
Sabrina Streif warnt aufgrund ihrer Untersuchung davor, Hauskatzen zu vermenschlichen. Für die Tiere sei es wichtig, dass sie nachts stundenlang irgendwo lauern können, auch einmal einen Tag verschwinden oder tagsüber faul herumliegen. Vor allem in Haushalten mit mehreren Katzen, rät die Expertin, brauche jedes Tier seine eigenen Rückzugsorte. Am Ende sind die Stubentiger eben doch unzähmbare Individualisten.

Nicht nur der Mensch, auch die Natur stößt immer wieder an Grenzen. Die Studierenden der WMK-Lehrredaktion haben sich im Sommersemester 2016 mit dem ein oder anderen „Grenzgänger“ auseinandergesetzt. Sie wollten wissen, welche Körpergröße Tiere erreichen können, wie man seine Leistungsfähigkeit beim Sport richtig einschätzt und was es für Transsexuelle bedeutet, wenn das biologische Geschlecht nicht der persönlichen Identität entspricht. Unter der Leitung von Dr. Christian Gruber, Ressortleiter Wissenschaft bei der Rheinpfalz am Sonntag, entstand daraus eine Artikelserie. Wir wünschen viel Spaß beim Durchblättern!

Seminarleitung: Dr. Christian Gruber
Sommersemester 2016

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