Magazine abseits des Mainstreams

Von Johanna Sterrer und Kai Wieland — 28. August 2016

Große Zeitschriftenverlage klagen über schwindenden Absatz. Für manche
Magazine gilt dies jedoch nicht. Nie gab es ein größeres Angebot an
Nischenzeitschriften. Bei ihnen zählen vor allem Originalität und Ideenvielfalt.

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WALDEN

Seit Mai 2015
Erscheint zweimal jährlich
Preis: 7,50 Euro
Verkaufte Auflage: 25 000 Exemplare

»Lass dich raus! Die Wildnis beginnt vor der
Haustür« – ist auf dem Cover zu lesen. Mit
dem Titel Walden lehnt sich das Heft an das
gleichnamige Buch »Walden. Oder das Leben
in den Wäldern« von Henry David Thoreau
an, in dem er unter anderem sein einfaches
Leben in der Natur beschreibt. Publiziert wird
Walden vom Verlag Gruner und Jahr.

Das Magazin richtet sich an Outdoor-
Enthusiasten, die Lust haben, Abenteuer in
heimischer Natur zu erleben. Dabei besticht
das Cover mit einem kartonartigen Einband
und einem gelungenen maskulinen Design.
Der Outdoor-Look und die gedeckten Farben
sowie das Inhaltsverzeichnis in Form eines
Wegweisers passen zum Zielpublikum.
Es gibt die Rubriken Entdecken, Wissen,
Können und Kleinholz, um einen auf die Natur
vorzubereiten. Großformatige Bilder, auf
mattes 100-Gramm-Papier gedruckt, zeigen
beeindruckende deutsche Landschaften gleich
zu Beginn des Heftes. Malerisch präsentieren
sich die Allgäuer Alpen, der Bayerische Wald
oder die Sächsische Schweiz. Informativ sind
die vielen Infografiken und das beiliegende
Extra-Heft Field-Guide, das einen im
Frühling und Sommer kein Naturereignis
mehr verpassen lässt. Die aufwendigen
Landkarten und gezeichneten Tiere erinnern
an alte Bestimmungsbücher.

Neben größeren Ausflügen, wie Camping im
Gebirge, bietet das Magazin Tipps für den
Alltag: Wie lasse ich einen Stein übers Wasser
hüpfen, wie kann ich das eigene Wohnviertel
mit anderen Augen betrachten und vieles
mehr. Doch scheint mancher Vorschlag auch
etwas unrealistisch: Wer leiht sich einen
Neoprenanzug, um im nächstgelegenen See
seine Abenteuerlust zu stillen?
Für hartgesottene Outdoor-Abenteurer ist
das Heft wohl eher nichts, dafür sind die
Vorschläge zu sehr auf den Komfort liebenden
Stadtmenschen ausgelegt. Aber für den, der
einfach kleine Abenteuer in der Natur erleben
will, ist das Heft sehr lesenswert und regt zur
Umsetzung in die Tat an. (JS)

Weiterlesen: walden-magazin.de

flow

Seit November 2013
Erscheint im deutschsprachigen
Raum seit 2015 achtmal jährlich
Preis: 6,95 Euro
Verkaufte Auflage: 120
500 Exemplare

Das Magazin flow ist nach eigener
Beschreibung »das Magazin für Achtsamkeit,
Positive Psychologie und Selbstgemachtes«
und schwimmt auf der aktuellen Nostalgiewelle
mit. Zielgruppe scheinen Frauen zu sein, die
tatkräftig und achtsam durchs Leben schreiten,
sich aber auch mal Zeit für sich selbst gönnen.
Das besondere Layout sticht sofort ins
Auge: unterschiedliche Schriftarten,
viele verschiedene Papiersorten und ein
abwechslungsreiches Seitenlayout mit
zahlreichen grafischen Elementen sowie
Zeichnungen und Fotos.
Beim Durchblättern der Zeitschrift fallen vier
verschiedene Rubriken auf: feel connected, live
mindfully, spoil yourself und make it simple.
Zitate, kleine Anekdoten, Produkte und vieles
mehr bilden jeweils einen erfrischend anderen
Einstieg in die Thematik.
Man lernt Menschen kennen, meist Künstler,
die sich ihre eigene kleine Oase geschaffen
haben, und so versuchen, Arbeit und
Selbsterfüllung in Einklang zu bringen. An
Achtsamkeitsartikeln fehlt es nicht – immer
wieder heißt es, man soll den Moment
genießen, sich Zeit für sich selbst nehmen und
an kleinen Dingen erfreuen.
Der allgegenwärtige Do-it-yourself-Trend
wird in dem Magazin ebenfalls aufgegriffen.
So wird zum Beispiel beschrieben, wie man
Granny Squares, die berühmten Häkelquadrate,
herstellt, einen Zimtschneckenkuchen backt
oder selbst eine Wand tapeziert. Also viele
kleine Anregungen, die man tatsächlich im
Alltag umsetzen kann – wer gerne selbst tätig
wird, kommt hier auf seine Kosten.
Eine weitere Besonderheit ist das kleine
Geschenk, das sich in jedem flow-Heft
verbirgt, meistens etwas Kreatives aus Papier:
Postkarten zum Ausmalen, verschiedene
Geschenkpapiere, eine Wimpelkette oder ein
Kalender zum Zusammenbasteln.
flow überzeugt mit hochwertiger Qualität
und tollem Design und ist alles in allem ein
sehr gelungenes und abwechslungsreiches
Heft. Es hilft, dem Alltagsstress zeitweilig
zu entfliehen. Allerdings sind nicht alle
Vorschläge umsetzbar, weil sie manchmal
etwas zu idealistisch und realitätsfremd sind –
so zum Beispiel, jeden Tag ein Bild zu malen
und Ähnliches mehr. (JS)

Weiterlesen: flow-magazin.de

Offscreen

Seit 2012
Erscheint drei- bis viermal jährlich
Preis: 20 US Dollar (18,33 Euro)
Auf Englisch
Auflage: keine Angabe

Als der Designer Kai Brach die Zeitschrift
Offscreen ins Leben rief, wollte er ein Magazin
machen, das sich in der hektischen digitalen
Welt Zeit nimmt. Zeit für die Geschichten
hinter den ganzen coolen Technologie-Start-
ups. Zeit für die Menschen, die jeden Tag an
unserer digitalen Zukunft arbeiten. Bis heute
ist es ein Ein-Mann-Projekt, obwohl viele
tausende Exemplare des englischsprachigen
Magazins auf der ganzen Welt verkauft
werden. Es ist ein Offline-Magazin für und
über Online-Leute.
Es ist gar nicht so leicht an eine Offscreen-
Ausgabe zu kommen. Das Magazin erhält
man nicht am Zeitungskiosk, sondern nur
in hippen Indie-Buchgeschäften oder eben
online. Also kann man es sich online bestellen
und per Post zuschicken lassen, eine ePaper-
Ausgabe zum Runterladen gibt es nämlich
aus Prinzip nicht.
Wer dann mal eine Offscreen in der Hand
hält, weiß auch wieso. Das Magazin lädt
ein zum Abschalten, zum Runterkommen,
zum Auf-die-Details-achten. Es ist in einem
außergewöhnlichen Format gedruckt, kleiner
als ein klassisches Magazin und fühlt sich
deshalb eher wie ein Buch an. Das Papier ist
fest und matt, das Logo in die feste Pappe
des Covers geprägt. Es lässt sich auch nicht
durch Werbeanzeigen stören: Gesammelt gibt
es in der Mitte jeder Ausgabe einige dezente
Seiten, auf denen die Sponsoren weiß auf
schwarz mit Logo vorgestellt werden.
Bei dem detailverliebten Design werden die
Inhalte fast zur Nebensache. Den Kern von
Offscreen bilden sechs große Interviews, in
denen Menschen aus der digitalen Welt –
das können Designer und Entwickler, aber
auch Architekten und Taxifahrer sein – aus
ihrem Leben erzählen. Das bedeutet vor
allem, dass man erfährt, welche Smoothies
sie so trinken, und dass sie jeden Morgen
erstmal mit einem fitbit-getrackten Workout
beginnen. Manchmal wird die Offscreen
aber auch sehr hintergründig, etwa wenn
der Bestseller-Autor Scott Berkun die oft
beklagte Informationsflut kritisch reflektiert.
Genau davon würde ich mir noch viel mehr
wünschen.
Die Offscreen begeistert mich mit ihrem
tollen Design und dem mutigen Konzept. Sie
ist ein internationales Magazin und geht damit
ganz selbstverständlich um. Ich wünsche mir
mehr Magazine, die sich das trauen: Einfach
mal Zeit nehmen, eine starke Leitlinie, eine
konsequente Umsetzung. (KW)

Weiterlesen: offscreenmag.com

ECONORE Magazine #2

Seit September 2010
Erscheint unregelmäßig
Preis: kostenlos
Auflage: keine Angabe

Eine Rezension über ein Fanzine soll ich
schreiben. Sehr lustig. Fanzines (eine
Wortkreation aus »Fan« und »Magazine«)
erscheinen in winzigen Auflagen und sind
deshalb schwer zu bekommen. Sie werden oft
von losen Kollektiven in der Freizeit gemacht.
Das macht sie unberechenbar. Keines ist wie
das nächste. Die Webseiten sind in der Regel
ziemlich kaputt (das gehört wohl zum guten
Ton). Na gut. Nützt ja nichts.
Das Econore Magazine #2 ist exemplarisch für
eine ganze Klasse von Zines: Herausgegeben
von einem Musikverlag, der sich auf
undergroundige Genres (meistens Punk,
Hardcore, Noise, Experimental) spezialisiert.
Mit spezialisiert meine ich, dass außerhalb
der Szene noch nie jemand davon gehört hat.
Trotzdem sind manche Zines in der Szene
sowas wie ein Zentralorgan. So ein bisschen
wie der Marktplatz, auf dem Newcomer
aus der Region ihre Plattform finden und
Termine für Konzerte und Veröffentlichungen
angekündigt werden. Viele Zines erscheinen
inzwischen auch online.
Econore ist jedenfalls ein Label für
experimentelle Musik aus Mönchengladbach
und Berlin. In ihrem Magazin findet man
eine bunte Mischung aus Interviews mit
szenigen Musikern und Künstlern und
Seiten, die irgendwie Kunst sind. Auf großen,
quadratischen Seiten findet man Bilder,
Kurzgeschichten und lyrische Texte, aber
auch abgedrehte Collagen. Die Ästhetik ist
digital und retro, auch wenn die Seiten beim
ersten Blättern total zusammengewürfelt
und nach »Do it yourself« aussehen, ergibt
sich ein stimmiges Gesamtbild. Das gefällt
mir wirklich gut! Es ist sehr anstrengend zu
lesen, aber genau das macht den Charme der
Zines aus. Sie sind ein Platz für abgedrehte
Experimente, die nicht selten den Weg in den
Mainstream finden.
Jetzt sollte man bei einer Rezension ja eine
Kaufempfehlung aussprechen. Das fällt
mir schwer, denn ihr werdet das Econore
Magazine wahrscheinlich nie in die Hände
bekommen. Trotzdem sind Zines eine total
unterschätzte Form – haltet mal die Augen
offen, nach Zines aus der Umgebung oder
einem »Zinefest«. Vielleicht werdet ihr
begeistert. (KW)

Weiterlesen: zinewiki.com

Zines findet man auch digital auf: issuu.com

Wie entsteht eine Zeitschrift? Liest überhaupt noch jemand Zeitschriften? Oder ist Print schon tot? Die 25 Studierenden der Lehrredaktion im Wintersemester 2015/16 haben sich intensiv mit dem Thema Print auseinandergesetzt – indem sie selbst ein Printmagazin hergestellt haben und in ihren Beiträgen verschiedene Aspekte beleuchtet haben von der Zeitschriftennutzung über Nischenprodukte bis hin zu Umweltfragen. Eine Zeitschrift über Zeitschriften also. Der Name „Printerest“ ist in Anlehnung an die Onlineplattform Pinterest entstanden, auf der Nutzer Bilder und Texte an eine virtuelle Pinnwand hängen können. Entsprechende gestalterische Elemente finden sind in unserer Zeitschrift wieder.

Seminarleitung: Cornelia Varwig, Nicolaz Groll
Wintersemester 2015/16

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